Predigt am 13. Sonntag im Jahreskreis – 01. Juli 2012
Lesungen: Weish 1,13-15 / 2 Kor 8,7.9.13-15 / Mk 5,21-43
Alle liturgischen Texte (hier)
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Ein geistlicher Impuls aus der Pfarrei St. Bonifaz Regensburg (hier)
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Stellen Sie sich vor, dieses Evangelium wird bei einem Gottesdienst in einem Krankenhaus oder Altersheim vorgetragen. Kranke und leidende Menschen hören, wie Jesus heilt. Und am eigenen Leib erfahren sie, dass ihnen nicht geholfen wird.
Muss sich da nicht die quälende Frage aufdrängen, ob die Hl. Schrift wirklich verläßlich Auskunft gibt über die Absichten Gottes mit den Menschen? Stimmt das wirklich, was wir eben gehört haben, oder sind solche Erzählungen von Krankenheilung und Totenerweckung nur Hoffnungsgeschichten, die uns über Leid und Krankheit hinwegtrösten sollen. Ist Gott der Herr des Lebens oder nicht! Hat er die Macht, den Tod zu überwinden und seine Vorboten, nämlich Krankheiten und Leiden aller Art zu einem guten Ende zu führen?!
Mit diesen Fragen rühren wir an den Nerv des Glaubens. Es ist nicht leicht, darauf eine befriedigende Antwort zu geben.
Wir tun gut daran, uns zunächst einmal an den Glauben der Menschen anzulehnen, die uns in der Hl. Schrift begegnen. Da ist z.B. der König Salomon, dem das Buch der Weisheit zugeschrieben wird. Er ist uns auch durch das Sprichwort von der Salomonischen Weisheit bekannt. Aufmerksames Beobachten der Ereignisse, Nachdenken über Vergangenes, Gegenwärtiges und Zukünftiges und ein betendes Suchen nach Gott haben diesem König Einsicht verliehen, sodass sein Wort Gewicht bekam. Auf Salomon hörten die Menschen; seinem Urteil vertrauten sie. Sie wußten, dass er nicht log, sondern die Wahrheit sagte.
Wenn nun so ein Mensch von Gott redet, dann traue ich ihm zu, dass er nicht leichtfertig daherredet, sondern viel nachgedacht und betend gerungen hat, bevor er den Mund auftat: dann verdienen die Sätze der ersten Lesung Vertrauen: Gott hat keine Freude am Untergang der Lebenden. Zum Dasein hat er alles geschaffen. Gott steht auf der Seite des Lebens, nicht auf der Seite des Todes.
Natürlich hat auch Salomon das Los der Sterblichen erfahren. Auch er sah Krankheit, Leid und Tod. Er kannte auch die immer wiederkehrende Warum-Frage. Aber in seinem Herzen gab es noch eine andere Sicht der Dinge. Es war, wie wenn einer mit zwei Augen schaut, nicht nur mit einem.
Wer nur mit einem Auge sieht, sieht nicht plastisch. Wenn er z.B. nach einer Blume greifen will, verfehlt er sie, greift daneben. So könnte er auf die Idee kommen, die Blume existiere gar nicht, sondern er unterliege einer optischen Täuschung. Er hat sie ja mit seiner Hand nicht ergriffen, hat kein Beweisstück in Händen. Vielleicht ist sie doch nur eine Fata Morgana?
Wer aber mit zwei Augen sieht, sieht räumlich. Seine tastende Hand verfehlt den Gegenstand nicht. Er kann betasten und begreifen, was vor ihm ist.
Dies ist ein Bild für unsere geistige Wahrnehmung. Manchmal habe ich den Eindruck, dass die Menschen einäugig durch die Welt gehen. Sie sehen nur ein flaches Bild von allem. Mit dem zweiten Auge, mit dem Auge des Glaubens aber, würden sie die volle Wirklichkeit erblicken. Zwar erscheint alles Leben auf dieser Welt dem Tod entgegen zu gehen, aber mit dem Auge des Geistes schauen wir durch den Tod hindurch und erreichen den, der jenseits dieser Grenze lebt: den Urheber und Erhalter des Lebens, den lebendigen Gott.
Das Buch der Weisheit war eines der letzten Bücher im AT. Im 1. Jahrhundert vor der Geburt Jesu wurde es verfasst. Das Evangelium des Markus ist eines der ersten Bücher im NT: es wurde im 1. Jahrhundert nach Christus geschrieben. Diesem Evangelium nun verdanken wir die Erzählung von der Heilung der kranken Frau und der Erweckung der Tochter des Synagogenvorstehers Jairus vom Todesschlaf.
Was Jesus tut, ist nichts anderes als ein Zeichen dafür, dass Salomon mit beiden Augen Wahres gesehen hat: Gott, von dem Jesus herkommt, ist der Herr des Leben. Der Sohn Gottes – Jesus von Nazareth – vollendet, was die Weisen unter allen Menschen immer schon geahnt und geglaubt haben: den Sieg des Lebens über den Tod.
Auch das Evangelium von der Heilung der blutflüssigen Frau und die Erweckung der Tochter des Synagogenvorstehers Jairus kann uns weiter helfen. Jesus wirkt diese Zeichen, indem er in beiden Fällen die Nähe sucht, den Abstand überwindet und die Menschen anrührt.
Er fasste das Kind bei der Hand, schreibt Markus. Und: von der Frau heißt es, dass sie sein Gewand berührte. Jesus hat diese Berührung wahrgenommen und danach gefragt: Wer hat mein Gewand berührt?
Wer mit dem lebendigen Gott in Berührung kommt, wird gleichsam von seiner Lebenskraft angerührt. Er gewinnt Anschluss an den Lebensstrom – so wie eine Glühbirne aufleuchtet, wenn sie mit dem Strom in Berührung kommt.
Auf vielfache Weise rühren wir einander an, im wörtlichen und im übertragenen Sinn. Wir kennen das Gefühl, angerührt, in der Tiefe der Seele angesprochen worden zu sein. Und wir können sehr gut unterscheiden, welche Art der Berührung uns einengt und welche uns befreit und aufatmen lässt, welche Berührung uns sterben und welche uns leben lässt.
Dies hilft uns verstehen, was die Hl. Schrift über Gott sagt. Wir gewinnen eine Ahnung davon, dass der lebendige Gott uns mit seiner Lebenskraft anrühren und lebendig machen kann, sodass wir aufstehen und anfangen, neu zu werden.
Gilt schon im zwischenmenschlichen Umgang, dass die Nähe eines liebenden Menschen uns wachruft und unsere Lebenskräfte erneuert, wie viel mehr dürfen wir dann glauben, dass Gott den Menschen aus dem Todesschlaf herausholen kann. Er ist uns doch in seiner Menschwerdung nahe gekommen, ja – so darf man sagen – er ist uns auf den Leib gerückt.
Dass dann immer noch Krankheiten nicht heilen, und das Sterben kein Ende nimmt, ist kein Einwand gegen unseren Glauben. Wir sehen eben oft nur mit einem Auge und sind auf dem anderen blind. Würden wir das zweite Auge auch öffnen und unsere Sehnsucht nach Leben mit der Weisheit vieler Menschen zusammenbringen, dann bräuchten wir nicht mehr bezweifeln, was da in der Hl. Schrift steht.
Gott lebt und er lebt von Ewigkeit zu Ewigkeit. Er ist das Leben und in seiner Hand bleibt auch unser Leben geborgen, sogar über den Tod hinaus. Jesus, der Sohn des lebendigen Gottes war der Zeuge dafür. Er ist an der Hand Gottes – in ständiger Berührung und Verbindung mit ihm – durch den Tod hindurchgegangen zum Leben.
Wer also die Nähe Jesu sucht und sich von ihm anrühren lässt, wer mit ihm in Kontakt bleibt, der lebt und ist gerettet.